Die Corona-Krise hat uns schmerzhaft gezeigt, wie anfällig diese Systeme sein können.
Selten ist so deutlich geworden, wie sehr sich wandelnde Rahmenbedingungen die strategische Sicht verändern.
Aktuell gibt es vier relevante Haupteinflussgrößen, die darüber entscheiden, wie erfolgreich Produktionsunternehmen die Verwerfungen der Corona-Krise bewältigen: Flexibilität / Skalierbarkeit, Global Footprint / stabile Supply Chain, Digitalisierung in der Smart Factory und das perfekte Produktionssystem. Dass wir uns auf einen intelligenteren Umgang mit Ressourcen besinnen müssen, kommt dazu und gilt für alle Branchen. Die Produktionsstrategie ist und bleibt unter allen Bedingungen ein Bündel von Maßnahmen, mit denen die Unternehmensleitung die grundsätzliche Ausrichtung und die Leistungsfähigkeit der Produktion beeinflusst. Ihre Umsetzung erfolgt mithilfe des exakt auf die Anforderungen zugeschnittenen Produktionssystems.
Die vier Entscheidungsgrößen Flexibilität / Skalierbarkeit, Global Footprint /stabile Supply Chain, Digitalisierung in der Smart Factory und Produktionssystem entscheiden darüber, wie erfolgreich Produktionsunternehmen die Corona-Krise überwinden.
Bei der Suche nach Strategien für die Produktion von morgen machen uns Einflussgrößen zu schaffen, die in der Vergangenheit nicht immer angemessen beachtet worden sind. Wir nähern uns der Losgröße eins und setzen auf die Nähe zum Kunden. Und den Wunsch nach beschleunigten Liefergeschwindigkeiten und reduzierten Lieferzeiten nehmen wir ernster denn je. Immer mehr ins Gewicht fällt aber, dass wir enorme Stückzahlschwankungen ebenso akzeptieren müssen wie die Tatsache, dass eine verlässliche Stückzahlplanung künftig kaum noch möglich sein wird. Die Politik macht es uns mit neuen Zöllen und Reglementierungen zusätzlich schwer, so dass in einigen Fällen sogar die Revision von Standortentscheidungen auf die Tagesordnung gelangen könnte – weil bei geringeren Volumen, größeren Stückzahlschwankungen und politischen Barrikaden die Kosteneffekte einer Best-Cost Country Production immer weniger ins Gewicht fallen. Da Volumeneffekte an Relevanz verlieren, dürften weitere Produktstandardisierungen unverzichtbar werden. So müssen aus dem Gegensatz von Produktindividualisierung und dem Zwang zur Standardisierung neue Lösungen entwickelt werden.
Unternehmen, die einen guten Überblick über ihre gesamte Wertkette hatten, haben in der Corona- Krise schnell und sicher Entscheidungen treffen können. Warum? Die Antwort liegt auf der Hand, wenn wir uns die strategischen Handlungsfelder und den Nutzen genauer anschauen. Eine 360-Grad-Perspektive auf alle Aktivitäten von der Herstellung bis zur Auslieferung eines Produkts ist elementarer denn je. Der Perspektivwechsel vom Wertstrom zur Wertkette unter Beibehaltung der Messung und Bewertung von Warenströmen, Lieferantenbeziehungen und Absatzkanälen erlaubt konkrete Entschlüsse in Bezug auf notwendige strategische Änderungen. Hinzu kommen neue Chancen durch schnelles und radikales Reagieren.
Die komplette Supply Chain muss „upstream“ gedacht werden. Zusätzlich zu den Informationen aus der Wertkette gilt es, an den strategischen Stellschrauben zu arbeiten. Bezüglich der Flexibilität und Skalierbarkeit ist ein Paradigmenwechsel längst überfällig. Neben der Bevorratung mit Anlagentechnik und Flächen sollte auch über ehemals undenkbare Ideen wie die Produktion ohne verbindlichen Kundenauftrag nachgedacht werden. Geht nicht? Geht doch! Wir werden künftig mit einer 70-prozentigen Auslastung der Kapazitäten 100 Prozent der Herstellkosten erwirtschaften müssen, so dass 30 Prozent Reserve für die Flexibilität bleiben. Auf der Suche nach der besten Positionierung von Produktion und Logistik gewinnen die Aspekte Global Footprint und Supply Chain immer mehr an Bedeutung. Während der Corona-Krise ist das in der Luftfahrtindustrie besonders deutlich geworden, es gilt jedoch auch für die Automobilindustrie. Bewährte Strategien wie Best-Cost Country Sourcing/ Production treten in dem Maß in den Hintergrund, wie die Berücksichtigung des Global Footprint zunimmt. Auch neue Zölle und Regularien wirken sich auf Standortentscheidungen aus; langfristige strategische Beziehungen zwischen Kunden und Lieferanten, die auf Best Practice und nachhaltigen Wettbewerbsvorteilen basieren, gewinnen ebenso an Bedeutung wie ultratransparente Supply Chains.
Weil die Digitalisierung der Produktion in der Smart Factory kein Selbstzweck sein darf, wird sie vorläufig immer nur in Teilumfängen Realität. Das ist kein Nachteil, allerdings sollte es für die schrittweise Integration in die Produktionsstrategie eine detaillierte Roadmap geben. Denn die Effekte der Digitalisierung müssen die technischen Möglichkeiten immer wieder mit der tatsächlichen Ergebnisverbesserung in Einklang bringen. Das Herzstück aller Maßnahmen ist jedoch das eigentliche Produktionssystem. Wenn wir von Customer Centricity sprechen, sollten die Wünsche und Bedürfnisse des Kunden ohne Wenn und Aber in den Fokus gestellt werden. Und genau hier müssen wir mehr Flexibilität im Produktionssystem umsetzen. Denn nur so wird es uns gelingen, den eigentlichen Benefit für den Kunden zu erzielen.
Das Thema Produktionsstrategien der Zukunft wird uns weiterhin begleiten. Inzwischen zeichnet sich überdeutlich ab, dass die Unternehmen, die sich auf Customer Centricity fokussieren, das Thema Flexibilität in Einklang mit dem Kundenblick gebracht und zur DNA ihres Unternehmertums gemacht haben, mit der Folge, dass die Produktion weiter ausgebaut wird und wachsen wird. Statt „Produktivität und Marktnähe“ heißt der Schlüssel für die Zukunft nun „Produktivität, Marktnähe und Flexibilität“. Flexibilität macht den Unterschied und ist die eigentliche Customer Centricity.