Herkommer: Alle sprechen von der Produktion der Zukunft. Und alle sind sich einig, dass diese noch gar nicht absehbare Veränderungen nach sich ziehen wird. Es ist an der Zeit, die analytische Ebene mal zu verlassen und bisherige Denkkonventionen über Bord zu werfen. Wer sagt denn, dass die Gebäudeform zwangsläufig ein limitierender Faktor für die Ausrichtung der Produktion ist? Und warum gehen wir bei der Planung davon aus, nur die Bodenfläche zu nutzen? Warum nicht einfach mal alles neu denken, Grenzen überschreiten, sich auf den Kopf stellen und eine völlig neue Perspektive einnehmen? Ich bin der festen Überzeugung, dass uns hier eine gewisse Start-up-Mentalität guttun würde. Kreativ sein, Ideen entwickeln und wieder verwerfen und Neues schaffen, also visionär einen Blick in die Zukunft wagen.
Herkommer: Wenn wir mit unseren Kunden die Zukunft ihrer Produktionssysteme entwickeln, beginnen wir zum Einstieg mit einer „schwarzen leeren Folie“. Auf die dann folgende Frage „Was soll das?“, ist die Antwort: „Das ist ein Einblick in die Produktion der Zukunft. Dort brauchen wir kein Licht, weil keine Menschen arbeiten.“ Zugegeben diese Aussage provoziert, aber schafft die Grundlage für ein völlig neues Denken. Ob dieses Zielbild und diese Vision jemals umgesetzt werden kann, werden wir erst in Jahrzehnten sehen. Heute konzentrieren wir uns in der Diskussion immer viel zu sehr darauf, ob im Zuge der Automatisierung der Mensch verloren geht. Wir müssen im aktuellen Technologie-Set-up stattdessen Mensch und Maschine zusammen denken. Und überlegen, wie wir einen fließenden Übergang zwischen Leben und Arbeiten gestalten können. Der Mensch wird in der Fabrik der nächsten Jahrzehnte die zentrale Rolle spielen. Aber wir müssen den Mut haben, diese Rolle neu zu definieren.
Herkommer: Überall rollen autonome Transportwagen, Roboter arbeiten in Höchstgeschwindigkeit, menschliche Arbeitende überwachen den Ablauf und programmieren neue Anforderungen in den Automationsprozessen. Eine physische Anwesenheit der Mitarbeitenden ist nicht mehr erforderlich, da die Überwachung und Programmierung über 3D-Kameratechnik und den Digitalen Zwilling gesteuert werden kann. Dank vorausschauender Wartung gibt es so gut wie keine Ausfälle mehr. Sämtliche Daten liegen in einer Cloud, alle Informationen, Prozesse und das Erfahrungswissen der Mitarbeitenden sind immer am richtigen Ort zur richtigen Zeit abrufbar. Über die gesamte Wertschöpfungskette werden Daten automatisch ausgewertet und ausgetauscht – vom Rohmaterial bis zum fertigen Produkt im Einsatz. Erkenntnisse der Forschung, Planung und Produktion werden über Push vermittelt. Zeitaufwändige Prozessabstimmung und Störungskommunikation werden somit überflüssig. Abfälle und Ausschuss sind nicht mehr vorhanden. Die Form des Gebäudes spielt keine Rolle mehr, der ganze Kubus wird genutzt. Egal ob eckig oder rund – alle Formen sind denkbar. Transportlosungen werden mit Hyperloop-Systemen oder Drohnen unter die Decke verlagert, um Räume noch effizienter zu nutzen. Die Arbeitsflächen und Montagebereiche werden variabel gestaltet. Der Boden ist mit Sensoren ausgestattet, die die Anforderungen der jeweiligen Produktionsschritte direkt weitergeben. Und das sind nur erste Ideen, die wir unendlich weiterdenken können.
Herkommer: Nein, ganz im Gegenteil. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Fabriken aus den Industriezonen wieder zurück in die urbanen Raume holen. Auch dies vor dem Hintergrund, dass Leben und Arbeiten sich starker vermischen werden. Anfahrtszeiten reduzieren sich, genau wie der Pendlerverkehr und damit auch die Emissionen.
Herkommer: Wir brauchen vor allem Mut. Mut, in alle Richtungen zu denken. Aber sicherlich auch strategischen Weitblick, um alle Aktionsfelder zu berücksichtigen und die Themen Digitalisierung, Automatisierung, Standardisierung und Lean miteinander zu verbinden. Ohne Lean keine Digitalisierung. Und ohne Digitalisierung keine Fabrik der Zukunft.