Angesichts geopolitischer Ereignisse wie der Corona-Pandemie und des Kriegs in der Ukraine müssen Unternehmen immer mehr Aufwand betreiben, um die Übersicht über ihre Versorgungslage zu behalten. Mit Blick auf Regularien, wie das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz der Bundesregierung, werden die damit verbundenen Anstrengungen sicherlich noch steigen. Diese Komplexität ist auf lange Sicht nur noch mit IT-Unterstützung steuerbar. Daher gilt: Ohne digitale Transparenz ist auch kein effektives Supply Chain Management möglich.
Digitale Hilfsmittel können eine Transparenz erzeugen, die als Grundlage für stabilitätsfördernde Maßnahmen dient. Die Basis dafür sind weiterhin die klassischen Systeme wie Auftrags- und Bedarfssteuerung (ERP) und Transportsteuerung (TMS). Hinzu kommt das Thema Risikomanagement, das Störeinflüsse im Liefernetz frühzeitig erkennen, bewerten und beseitigen bzw. mindern soll. Dies setzt eine detaillierte Übersicht über alle Stufen der Supply Chain voraus, ausgehend vom Tier-1- und optimalerweise bis hin zum Rohstofflieferanten.
Für einen solchen 360-Grad-Blick müssen Unternehmen die heutigen Möglichkeiten der Digitalisierung voll ausschöpfen. In technologischer Hinsicht ist das keine Herkulesaufgabe. In den vergangenen Jahren sind zahlreiche Software-Lösungen auf den Markt gekommen, die eine vollständige Vernetzung der Supply Chain ermöglichen. Sie fungieren als Brückeninstanz zwischen Lieferanten- und Kundensystemen. Zugleich haben mehrere OEMs eigene Plattformen für die Steuerung ihres Beschaffungsnetzes konzipiert. Diese entwickeln sich mehr und mehr zu umfangreichen Produktions- bzw. Fabriksteuerungssystemen, die Lieferanten und Dienstleister flächendeckend verbinden sollen.
Das technologische Fundament ist jedoch nicht das eigentliche Hindernis auf dem Weg zur transparenten Supply Chain. Diese zweifelhafte Ehre gebührt der interpersonellen Kommunikation. Eine Plattform für den Austausch mit Partnern führt noch lange nicht zur gewünschten Transparenz. Der entscheidende Schritt ist der Informationsaustausch – sowohl zum Kunden als auch zu den Lieferanten. Hier mangelt es bislang an Sicherheit und Vertrauen. Transparenz hat für alle Beteiligten Vor- und Nachteile. Natürlich will jeder Kunde wissen, welche Kapazitäten sein Lieferant hat und wie effizient er arbeitet. Aus Sicht des Zulieferers stellt sich allerdings die Frage, welche Daten er überhaupt herausgeben will. Dass manche hierbei vorsichtig sind, ist durchaus verständlich. Schließlich ist nicht ausgeschlossen, dass Daten – zum Beispiel zur Gesamtanlagenauslastung – in Verhandlungsrunden vom Kunden verwendet werden, um den Preis zu drücken. Der umgekehrte Fall, eine Preiserhöhung seitens des Zulieferers, ist selbstverständlich genauso möglich.
Vorbehalte bezüglich der Weitergabe von Geschäfts- und Performance-Daten sind in vielen Industrien sehr weit verbreitet. Genau hier müssen Unternehmen ansetzen, wenn sie ihr Supply-Chain-Management mit digitalen Lösungen optimieren wollen. Wer eine transparente Lieferkette haben möchte, muss auch selbst transparent werden. Dazu ist ein offenes, partnerschaftliches Verhältnis zwischen Kunde und Zulieferer nötig, ein Geben und ein Nehmen. Es muss eine nachhaltige Win-Win-Situation entstehen, bei der alle Wertschöpfungspartner von der digitalen Zusammenarbeit profitieren und entsprechende Potenziale vollständig nutzen. Ohne diese Gegenseitigkeit bleibt die konsequente Digitalisierung der Supply Chain ein Luftschloss.