Was sind Erfolgsfaktoren für die Zukunftsfähigkeit globaler Lieferketten?
Die Ereignisse der letzten Jahre haben die globale Wirtschaftsordnung immer wieder erschüttert. Die Strukturen, die in der Vergangenheit den Rahmen für die Entwicklung der globalen Wertschöpfungs- und Lieferketten bildeten, funktionieren nicht mehr so reibungslos.
Es wird immer schwieriger, neue globale Regeln aufzustellen und Reformen bestehender Organisationen wie der Welthandelsorganisation WTO auf den Weg zu bringen. Konsens zu finden wird zur Herausforderung. Die Verlässlichkeit der globalen Wirtschaftsordnung, wie wir sie in der Vergangenheit hatten, gibt es leider nicht mehr. Vertrauenswürdige Rahmenbedingungen für den globalen Handel, ebenso wie für die Liefer- und Wertschöpfungsketten, sind für Unternehmen allerdings essenziell, was wiederum eine stärkere Kooperation zwischen entwickelten Volkswirtschaften und Entwicklungs- sowie Schwellenländern erfordert. Von der Wirtschafts- und Steuerpolitik bis hin zu Investitionen in Infrastruktur – vonseiten des Staates muss zudem ein verlässlicher Rahmen geschaffen werden.
Wir brauchen offene Märkte für einen regelbasierten Handel und eine stabile Wirtschaftsordnung. Seit der Finanzkrise 2009 verzeichnen wir in vielen Ländern stattdessen eine neue Welle von protektionistischen Maßnahmen, die die internationalen Handelsbeziehungen erschweren. Aus meiner Sicht brauchen wir deshalb dringend mehr Informationen über die Bedeutung und die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung. Denn vielen Menschen ist gar nicht mehr bewusst, was die zentralen Errungenschaften globaler Märkte sind.
Wie kann die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland gestärkt werden?
Die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Deutschland nimmt seit Jahren ab. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat dazu geführt, dass die Energiepreise erheblich gestiegen sind, was sich natürlich massiv auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts ausgewirkt hat. Allerdings waren wir auch vor dem Krieg kein Standort mit niedrigen Energiepreisen und wir werden es auf Dauer auch nicht sein. Denn selbst wenn wir die erneuerbaren Energien weiter ausbauen, was ich sehr befürworte, wird es Länder mit besseren Bedingungen für Solar- und Windenergie oder Wasserkraft geben.
Aber auch die demografische Entwicklung in Deutschland wirkt sich immer mehr auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes aus. Laut einer aktuellen IW-Kurzstudie fehlen derzeit fast 600.000 qualifizierte Arbeitskräfte. Das bedeutet in Zahlen, dass das Produktionspotenzial um ein Prozent niedriger ist und rund 50 Milliarden Euro weniger erwirtschaftet werden können. Auch im Bereich der Infrastruktur, wie zum Beispiel in den Bereichen Verkehr oder Digitalisierung, verlieren wir immer mehr an Attraktivität. Investitionen werden immer weiter aufgeschoben.
Wenn wir diese Baustellen nicht bald angehen, dürfen wir uns nicht wundern, wenn immer mehr Unternehmen ihre Investitionstätigkeit in andere Länder verlagern oder gar Deutschland verlassen. Im World Competitiveness Ranking des Institute for Management Development lag Deutschland 2022 auf Platz 15; im aktuellen Ranking reichte es nur noch für Rang 24.
Sollten Unternehmen durch gezielte Anreize unterstützt werden, Lieferketten resilienter zu gestalten?
Es war und bleibt die Aufgabe der Unternehmen, die Resilienz und Aufstellung ihrer Lieferketten selbst zu planen und Risiken zu bewerten. Dennoch gilt: Wir können nicht von Unternehmen erwarten, dass sie ihre Lieferketten resilienter gestalten, ihnen aber gleichzeitig Steine in den Weg legen. Ein Beispiel hierfür ist das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Viele Unternehmen haben hierzu gar nicht die entsprechenden Kapazitäten, die Lieferketten bis ins Letzte genauestens zu verfolgen und zu dokumentieren. Das wiederum hat zur Folge, dass sie sich auf weniger Lieferanten fokussieren, was die Attraktivität von Entwicklungsländern mit besonders intransparenten Produktionsbedingungen schmälert und gleichzeitig auch die Möglichkeiten zur Diversifizierung der Lieferkette.
Die Entscheidung über die Ausgestaltung der Lieferkette bleibt den Unternehmen selbst überlassen, doch die Unternehmen benötigen neben dem verlässlichen rechtlichen Rahmen auch genug Freiheit, um die richtige Entscheidung zu treffen. Zudem würden die Unternehmen insbesondere bei den sogenannten Klumpenrisiken von Unterstützung seitens des Staates profitieren. Das sind Bereiche, in denen viele Unternehmen gleichzeitig auf einzelne Lieferanten oder Lieferländer angewiesen sind, so dass sie die gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen der Ausfallrisiken anhand ihrer Unternehmensdaten selbst nicht oder kaum bewerten können. Der Sachverständigenrat hat hierzu im Jahresbericht 2022 rund 280 Produktgruppen mit strategischer Importabhängigkeit für Deutschland identifiziert.
Ihre Prognose für die Zukunft: Wie wird sich der Welthandel in den kommen-den zehn Jahren verändern?
Der Internationale Währungsfonds geht von einer Zunahme des globalen Handels mit Waren und Dienstleistungen in den nächsten fünf Jahren in einer Größenordnung von drei Prozent jährlich aus. Wenn wir uns die 1990er- und 2000er-Jahre anschauen, in denen der internationale Handel liberalisiert und die globalen Wertschöpfungsketten ausgebaut wurden, waren zweistellige Wachstumsraten keine Ausnahme. Die aktuellen geopolitischen Spannungen sowie die globalen wirtschaftspolitischen Unsicherheiten sorgen jedoch dafür, dass Unternehmen hinsichtlich ihrer internationalen Wirtschaftsbeziehungen vorsichtiger werden. Deswegen ist nicht davon auszugehen, dass es in den kommenden Jahren wieder zu einer neuen Welle der Globalisierung und der Entspannung auf den Märkten kommen wird. Das Erstarken des länderindividuellen Nationalismus hat eindeutig negative Konsequenzen für die globalen Wertschöpfungsketten. Und deshalb müssen wir häufiger über die Vorteile der Globalisierung sprechen, um allen bewusst zu machen, dass vom internationalen Handel mit all seinen Facetten unser aller Wohlstand abhängt.
Prof. Dr. Galina Kolev-Schaefer
...ist Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Technischen Hochschule Köln und forscht zu den Themen Handelspolitik, Nachhaltigkeits- und Klimaaspekte der Handelspolitik, Transatlantische Wirtschaftsbeziehungen, Globalisierung, Makroökonomische Analysen sowie Resilienz globaler Wertschöpfungsketten. Kolev-Schaefer ist zudem als Senior Economist am IW Köln tätig.