Warum haben Sie das Unternehmen auf Kreislaufwirtschaft umgestellt?
Ich habe die Firma 2003 mit Anfang 40 als angestellter Geschäftsführer übernommen und musste leider schnell feststellen, dass Gewitterwolken aufziehen. Unsere Wettbewerber, allesamt große, international tätige Player aus den USA und anderen europäischen Ländern, fingen an, ihre Produktionsstätten in Deutschland zu schließen und stattdessen in Niedriglohnländer zu verlegen. Dazu setzten sie zunehmend nicht mehr auf Messing, das damalige Standardmaterial für die Hydrauliken der Zähler, sondern auf Kunststoff, der wesentlich günstiger ist. Es war also absehbar, dass wir zeitnah unter großen wirtschaftlichen Druck geraten würden. Als kleine Firma einfach nachzuziehen, kam nicht infrage, da hätten wir nicht mithalten können. Den entscheidenden Gedanken hatte ich dann samstags auf dem Recyclinghof. Warum werfen die Kunden die Zähler nach der Nutzung einfach weg? Können wir unserem Dilemma nicht entfliehen, indem wir die Zähler zurücknehmen und wiederaufbereiten?
Was waren die größten Herausforderungen bei der Umsetzung?
Meine Führungskräfte waren von der Idee zunächst nicht sonderlich begeistert. Die fragten sich, was will der Neue eigentlich; wir haben doch immer Qualität produziert, jetzt sollen wir plötzlich altes Zeug herausgeben? Diese Bedenken konnte ich durch zahlreiche Gespräche ausräumen, in denen wir alle Argumente auf den Tisch brachten und sämtliche Vorbehalte adressierten. Die zweite Hürde war, unsere Kunden von dem neuen Vorgehen zu überzeugen. Dazu haben wir mit zwei Referenzkunden aus den Bereichen Wasserversorgung und Messdienstleistung Pilotprojekte vereinbart, die entgegen allen Bedenken bereits nach einem halben Jahr rundliefen. So konnten wir alle Zweifel beseitigen.
Welchen Beitrag leistet die Kreislaufwirtschaft heute im Kontext der Klimaneutralität?
Man muss ehrlich sagen, dass unser zirkuläres System eher aus der Not heraus entstanden ist. Heute ist es von zentraler Bedeutung für unsere Nachhaltigkeitsstrategie. Wir haben 2022 unseren ersten Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht und orientieren uns dabei an den drei Scopes, die das Greenhouse Gas Protocol definiert hat. Den Scope 3 Upstream bezüglich des Product Carbon Footprint belegen wir zum Beispiel mit der Kreislaufwirtschaft nahezu perfekt. Da wir die Zähler wieder zurück geliefert bekommen, auseinanderbauen, desinfizieren und aufbereiten, können wir aktuell mehr als 80 Prozent der eingesetzten Materialien wiederverwenden. Den zweiten Scope bedienen wir mit eigener Energieversorgung. Wir haben auf allen statisch belastbaren Dachflächen Fotovoltaikanlagen installiert. Hinzu kommen zwei eigene Windräder sowie ein eigener Stromspeicher aus gebrauchten E-Fahrzeug-Akkus auf Product-as-a-Service-Basis. Außerdem haben wir eine Nahwärmeleitung zu einer 400 Meter entfernten Biogasanlage gelegt, sodass ein Großteil der verbrauchten Heizenergie durch Abwärme entsteht. Klimaneutral agieren wir zwar trotz dieser Maßnahmen noch nicht. Wir sind aber zuversichtlich, diesen Weg bis 2030 nahezu abgeschlossen zu haben.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Transformation des Unternehmens?
Unsere Wasserzähler können vor allem zwei Dinge: Zum einen messen sie den Wasserverbrauch unserer Kunden, zum anderen übertragen sie uns die Ergebnisse per Funk. Das ist
effizienter und schneller, als mechanische Zähler manuell von einem externen Dienstleister ablesen zu lassen. Außerdem können wir dadurch beispielsweise Leckagen oder Dauerdurchflüsse erkennen, etwa wenn wegen eines hängenden Ventils nachts Wasser läuft, obwohl keines verbraucht wird. Darüber hinaus hilft uns die Digitalisierung, unsere Produktion und unsere Supply Chain im Vergleich zu früher wesenlich effizienter zu gestalten. Wir können zum Beispiel in der Hardware verfolgen, welche Produktions- und Prüfschritte bereits erfolgreich durchlaufen wurden. Das merken sich die Hardware und das Produktionsleitsystem über einen digitalen Zwilling, den wir im Rahmen des Forschungsprojektes RETHINK mit der TU München erarbeitet haben. In weiteren Forschungsprojekten beschäftigen wir uns mit der automatisierten Demontage der Rückläufer (AutoDis mit der TUM) sowie der Pflege und Analyse aller relevanten Daten in einem digitalen Produktpass (CliCE-DiPP mit dem KIT und der TU Darmstadt). Dazu können wir jederzeit nachverfolgen, in welchem Zustand ein Produkt zu uns zurückkommt. Diese Informationen aus dem digitalen Zwilling helfen uns, die Zähler bestmöglich wieder einzuspuren und zu überarbeiten.
Wie bewerten Sie das Thema Kreislaufwirtschaft für den Standort Deutschland?
Unser Unternehmen würde es ohne die Kreislaufwirtschaft heute nicht mehr geben. Wir hätten keine Chance gehabt. Stattdessen haben wir uns mit unserer neuen Vorgehensweise einen wirtschaftlichen Vorteil erarbeitet, von dem auch unsere Kunden profitieren, sei es über Leasing-, Pfand- oder Rückgabeerstattungsmodelle. Aus dem Design for Remanufacturing wird gerade in Verbindung mit solchen Geschäftsmodellen ein Design for Circularity, denn wir müssen zusammen mit unseren Kunden in einem Boot sitzen. So kriegen wir auch den eher kühl rechnenden Einkauf bei den Kunden auf unsere Seite. Der zweite große Aspekt ist, dass unser Carbon Footprint aufgrund des eingesparten Materials extrem gering ist. Der VDI hat uns mit einer neutralen Unternehmensberatung bestätigt, dass wir gegenüber der herkömmlichen Produktion über 90 Prozent an schädlichen Umweltauswirkungen sparen. Hinzu kommt eine
soziale Komponente: Wir schaffen und erhalten Arbeitsplätze. Unsere Unternehmensleistung ist zwischen 2003 und 2023 von unter 6 Millionen Euro auf rund 54 Millionen Euro gewachsen. Die Zahl der Mitarbeitenden stieg im selben Zeitraum von unter 60 auf 340. Diese drei Faktoren zusammengenommen machen für mich die Aussage glaubwürdig: Die Kreislaufwirtschaft schafft einen Standortvorteil für Deutschland. Dass wir die besten Prozesse haben, schlägt selbst günstigste Löhne. Vor Billigangeboten aus China haben wir heute keine Angst mehr.
Ihre Wettbewerber halten bis heute an der klassischen linearen Wertschöpfung fest. Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Vermutlich sind die Wettbewerberfirmen zu groß und zu eingefahren. Das ist zumindest meine Hypothese, die sich in Gesprächen mit Führungskräften mehrfach bestätigt hat. Kreislaufwirtschaft erfordert eine gewisse Langfristigkeit, das heißt, die Investitionen rentieren sich erst nach einigen Jahren. Man müsste wahrscheinlich die Rahmenbedingungen so anpassen, dass Vorstände und Geschäftsführer großer Unternehmen entsprechend stärker für langfristig vernünftige Entscheidungen motivieren. Im Endeffekt ist das, was wir tun, recht banal. Dazu ist unser zirkuläres Vorgehen nicht nur umweltschonender, sondern auch wirtschaftlicher als das der Konkurrenz. Ich bin daher überzeugt, dass Kreislaufwirtschaft schon sehr bald der Normalfall sein wird. Gerade große, börsennotierte Unternehmen sollten rechtzeitig steuern, um die Kurve zu kriegen, denn man muss heute investieren, um in fünf bis zehn Jahren die Effekte zu spüren.
Lorenz GmbH & Co. KG
Die Lorenz GmbH & Co. KG mit Sitz in Schelklingen, Baden-Württemberg, zählt zu den führenden Herstellern und Anbietern von Wohnungs-, Haus- und Großwasserzählern. Die Messgeräte des 1963 gegründeten Familienunternehmens ermöglichen den Betrieb sowie die Überwachung öffentlicher und privater Versorgungsnetze und helfen bei der Steuerung von Industrieanlagen. Die 340 Mitarbeitenden produzieren jährlich etwa 2 Millionen Wasserzähler und erwirtschaften damit einen Umsatz von rund 50 Millionen Euro (Plan 2024). Für sein Engagement im Bereich Nachhaltigkeit wurde das schwäbische Unternehmen mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt, dem Umwelttechnikpreis Baden Württemberg sowie dem Digital Leader Award für „Deutschlands beste Digitalisierungsstrategie“.