Hochkomplexe Produktions- und Liefernetzwerke stellen höchste Herausforderungen an alle Beteiligten, dabei den Überblick und die Kontrolle über entstehende Engpässe zu behalten. Hier setzt das Catena-X-Demand and Capacitymanagement (DCM) an. Catena-X ermöglicht einen sicheren Austausch von Bedarfs- und Kapazitätsdaten aller im automobilen Netzwerk involvierten Partner. Das Bedarfs- und Kapazitätsmanagement basiert auf einem kollaborativen Prozess. Wer Teil des Catena-X-Netzwerks ist, kann seine Bedarfs- und Kapazitätsdaten sicher mit anderen Lieferanten, Automobilherstellern und Verwertern austauschen. Alle Beteiligten haben ein gemeinsames Ziel im Blick: die Wünsche der Endkunden zu erfüllen und die Lieferkette so resilient wie möglich aufzusetzen.

Standardisierung als Erfolgsfaktor
„Ich bin der Überzeugung, dass es eine gewisse Bandbreite an Fragestellungen gibt, die für Unternehmen nicht mehr allein bearbeitbar sind oder nur noch mit einem exorbitant hohen Aufwand. „Give more than you take“ war schon immer unsere Devise und deshalb ist es nur folgerichtig, im Rahmen des Use Case Demand- and Capacitymangement übergreifende Fragen gemeinsam im Catena-X-Netzwerk zu diskutieren und Lösungen zu finden. Der Fokus von BMW liegt in der flexiblen Erfüllung der individuellen Kundenwünsche. Deshalb nehmen wir uns aber nicht wichtiger als Zulieferer. Aber wir sind am nächsten am Kunden dran.
Im Bedarfs- und Kapazitätsmanagement spielen Marktveränderungen und geopolitische Ereignisse eine immer größere Rolle. Die Bewegungsintensität des Marktes ist enorm und kaum noch überschaubar. Und genau dieser Gesamtmix macht es für alle Beteiligten erforderlich, höchstflexibel reagieren zu können. Ziel ist es, eine größtmögliche Transparenz zu erreichen, indem wir real geplante Bedarfe den real geplanten Kapazitäten gegenüberstellen. So erkennen alle Beteiligten frühestmöglich Engpässe, Abhängigkeiten, aber auch Potenziale, durch Umverteilung Abhilfe zu schaffen. Wir als OEM denken in Autos, Zulieferer hingegen denken in Komponenten.
Also müssen wir diese beiden Denkweisen im Bedarfs- und Kapazitätsmanagement aufeinander abstimmen – eine gemeinsame Sprache finden. In den letzten drei Jahren habe ich gemeinsam mit Zulieferern, IT-Providern, und Wissenschaftsvertretern an den unterschiedlichsten Fragestellungen arbeiten dürfen. Unsere Arbeitsgruppe ist mit rund 70 Personen über den Zeitverlauf und multiplen Herausforderungen gestartet. Auftakt war ein Live-Workshop, um gemeinsam eine Produkt-Vision zu entwickeln. Wir haben dabei eine Flughöhe erreicht und etwas formuliert, was heute noch Gültigkeit besitzt. Wir haben einen Capacitymanagement-Core entworfen, mit dem jedes Unternehmen nun arbeiten kann. Als überzeugter Agilist war es eine Herausforderung, ein Team zusammenzubringen und zu führen, das unterschiedlicher nicht hätte sein können, und in einen Arbeitsmodus zu kommen und alle mitzunehmen.
Nach drei Jahren Zusammenarbeit in diesem Use Case kann ich zurückblicken auf rund 70 fluktuierende Mitglieder und ca. 12 Präsenz-Workshops. Ergebnis sind rund 3.000 User-Stories, in denen wir Daten und Datenstrukturen standardisiert haben und auf denen Unternehmen nun aufbauen können. Das wichtigste Learning für die nun folgende Zeit: der Standard muss stabil gehalten werden und darf nicht mit Produktspezifikation gleichgesetzt werden, um nun rasch in die produktive Anwendung und entsprechende Skalierung zu kommen. Standardisierung ist der Erfolgsfaktor der Zukunft, um das große Miteinander organisieren zu können.“
Jürgen Schuberthan,
BMW Group, ehemaliger Head of Use Case Demand- and Capacitymanagement @Catena-X im ersten Catena-X-Konsortium und aktuelles Mitglied Steering-Committee @Catena-X

Entscheidungen auf Augenhöhe
„Catena-X bietet einen offenen und transparenten Austausch von Daten. Als weltweit führender Zulieferer aus der Chemieindustrie für den Automobilbau sehen wir enorme Chancen im Betrieb eines solchen Ökosystems, das auf standardisierten digitalen Dienstleistungen und Datenmodellen basiert. Wie genau der Mehrwert zu beziffern ist, lässt sich aus meiner Sicht derzeit noch nicht sagen. Insgesamt haben 70 Personen im Use Case Demand- and Capacitymanagement mitgewirkt. Das unterschiedliche Mindset der Beteiligten, die Vielfalt der Unternehmen und Branchen war Herausforderung und Chance zugleich. Aber genau diese Mischung war für alle Beteiligten eine Bereicherung und hat zu einem wichtigen Mehrwert geführt. Die Produkt-Vision war sehr schnell definiert, die Erwartungen zum Vorgehen ebenso. Dies alles gemeinsam zu erarbeiten, das war ein sehr spannender Prozess. Wir haben uns mit allen beteiligten Partnern herangetastet und es ist uns gelungen, Standards zu erarbeiten, die von allen mitgetragen werden.
Ich bin seit über 30 Jahren bei BASF und komme aus dem Supply Chain Management. Der Austausch über Fachbegriffe und Abkürzungen, die aus der IT-Welt kommen, war auch für mich eine neue Herausforderung. Als persönliches Learning habe ich aus meiner Mitarbeit mitgenommen, im Zuge des Prozesses von neuen Perspektiven zu profitieren und dabei immer wieder die eigene Komfortzone verlassen.
Das zukünftige Supply Chain Management steht vor der Herausforderung, die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten zu stärken, die Transparenz zu verbessern und die Transformation in Richtung Kreislaufwirtschaft und Net-to-Null-Emissionen in vielen Materialkategorien zu beschleunigen. Allerdings bedürfen resiliente Lieferketten einer partnerschaftlichen Kooperation aller Beteiligten. Ob Lieferanten, KMU, Großunternehmen, Rohstofflieferanten oder Verwerter – alle können dank der durchgängigen Nutzung und Verwertung von Daten neue Wertschöpfung erzielen. Und dazu haben wir mit unserem Use Case einen ersten Rahmen geschaffen, der es ermöglicht, Entscheidungen auf Augenhöhe zu treffen.
Mit der Standardisierung von Daten und Datenstrukturen sind wir einen guten Schritt vorangekommen. Mit Blick in die Zukunft gehe ich davon aus, dass wir weiterhin große Fortschritte machen werden. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Unterschiede einfach sehr groß sind. Während einige Partner mit hochmodernen DCM-Tools arbeiten, kalkulieren wiederum anderen noch per Excel-Tabelle. Der Use Case Demand and Capacitymanagement bei Catena-X zeigt, dass wir viele kleine Schritte und vor allem eine große Portion Durchhaltevermögen brauchen, um etwas gemeinsam zu bewegen. Kurz gesagt: Die Möglichkeiten sind da, wichtig ist, sie zu nutzen und einfach anzufangen.“
Stefania Lanfranchini,
Senior Specialist Supply Chain Management Digitalization bei BASF SE

Mehrwert noch stärker kommunizieren
„Der Mehrwert von Catena-X liegt auf der Hand: neue Perspektiven entdecken, Innovationen fördern und auf den Weg bringen. Jeder der Beteiligten schaut ein bisschen anders auf die Themen. Den Austausch über system- oder prozessseitige Lösungen und wie man diese über Unternehmensgrenzen hinweg anbinden kann, habe ich als enorm fruchtbar empfunden. Es gab im Team einen guten Spirit und man hat die Motivation gespürt, gemeinsam an einem Ziel arbeiten zu wollen. Intensive Diskussionen, viel Kompromissbereitschaft, offenes Feedback und verschiedene Perspektiven haben zu guten Lösungen geführt. Wenn wir im DCM-Team auf eine finale Deadline hingearbeitet haben, fand ich den Austausch besonders intensiv und es hat uns immer nach vorne gebracht. Jeder hat seine Stärken eingebracht. Oder um es mit den Worten unseres Teamleads auszudrücken: Es galt, das Tor zu schießen und den finalen Standard dann auch abzuliefern.
Wir brauchen nicht nur Transparenz und Nachverfolgbarkeit über die ganze Lieferkette hinweg, sondern wir müssen im Supply Chain Management noch viel schneller und deutlich flexibler auf neue Marktgegebenheiten reagieren. Die meisten Unternehmen speichern und bewerten ihre Daten. Fehlende Lösungen für die Zusammenarbeit hindern sie aber, durchgängige Datenketten zu schaffen. Alternative, datengestützte Szenarien und KI-gestützte Tools, mit denen die generierten Daten ausgewertet werden können, werden aus meiner Sicht unverzichtbar. Denn nur so wird es uns gelingen, schnellere Entscheidungen und gute Lösungen zu finden und proaktiv agieren zu können. Die Transparenz in den Lieferketten stärkt die Resilienz aller Beteiligten. So lassen sich Bedarfs- und Kapazitätsdaten zwischen allen Mitgliedern im Netzwerk sicher austauschen. Bei Engpässen in der Produktion kann eine Fertigungsunterstützung aus dem internationalen Verbund gesucht und angefragt werden. Und Lösungen für die Kreislaufwirtschaft ermöglichen zudem einen besseren Einsatz von Ressourcen und frühzeitige Absicherung von Materialschwankungen und -engpässen.
Ziel muss sein, dass sich die entwickelten Standards in den nächsten Jahren durchsetzen und es uns gelingt, das Thema internationaler aufzusetzen, was bereits jetzt schon durch die verschiedenen Hubs und Partnerschaften, egal ob Richtung Amerika oder auch Asien, erfolgt. Unsere zentrale Hausaufgabe sehe ich vor allem darin, den Mehrwert des Use Cases noch stärker zu kommunizieren und mit Success Stories zu untermauern. Nur so wird es uns gelingen, möglichst viele Unternehmen davon zu überzeugen, den eingeschlagenen Weg eines gemeinsames Ökosystems mitzugehen.“
Lukas Schmetz
Supply Planning Project Manager Catena-X bei Henkel AG & Co. KGaA