Reimold: Die Corona-Krise war ein harter Schlag für uns. Aufgrund der Engpässe bei unseren globalen Lieferketten konnten wir sechs Wochen lang nicht produzieren. Als dies Anfang Mai wieder möglich war, herrschte große Erleichterung. Eine weitere Folge des Lockdowns: Man besinnt sich auf das Wesentliche, das Leben wird wieder bewusster und Nachhaltigkeit bekommt einen noch größeren Stellenwert. Ich bin überzeugt, dass insbesondere die Elektromobilität profitieren wird und noch einmal einen deutlichen Schub erhält. Bei Porsche haben wir bereits vor Jahren eine klare, nachhaltige Produktstrategie beschlossen. Sie beruht auf einem Dreiklang aus effizienten Verbrennungsmotoren, emissionsarmen Hybridmodellen und rein elektrischen Fahrzeugen. Diese Strategie treiben wir weiter voran. Mehr denn je rücken dabei emissionsarme Technologien stärker in den Vordergrund. Bereits in fünf Jahren wird jeder zweite Porsche einen Elektromotor haben – als Hybridfahrzeug oder reiner Elektrosportwagen. Damit möchten wir eine technologische Vorreiterrolle übernehmen.
Reimold: Die Corona-Krise hat gezeigt, wie wichtig die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten bei plötzlich auftretenden Krisen ist. Und dass wir uns der Konsequenzen unseres eigenen Handelns bewusst sein müssen. Wichtig war die frühzeitige Kommunikation mit unseren Partnern. Teilweise gab es täglich mehrere Telefonkonferenzen mit über hundert Teilnehmern, unter anderem Finanzspezialisten, Logistikern und Beschaffungsexperten. Wir haben uns permanent mit allen Partnern abgestimmt. Mit diesen gesammelten Erfahrungen und dieser Agilität gilt es Prozesse zu überdenken, zu gestalten und einzuhalten. Die Krise wird damit zur Chance, aus der wir lernen und durch die wir besser werden. Eines unserer Ziele ist volle Transparenz, um beispielsweise, auch in Bezug auf Nachhaltigkeit, jederzeit über mögliche Risiken informiert zu sein. Zum Einsatz kommen dafür Technologien wie Blockchain und künstliche Intelligenz. Ein Pilotprojekt befasst sich etwa mit der Rückverfolgbarkeit der vollumfänglichen Lieferkette bei Lederhäuten mit einer Blockchain-Lösung. In unserem Stammwerk in Zuffenhausen werden sie zu hochindividualisierten und exklusiven Interieurteilen verarbeitet.
Reimold: Mit der Porsche-Produktion 4.0 übernimmt Porsche eine Vorreiterrolle für die moderne Produktion. Sie folgt dem Leitbild „smart, lean & green“ und bietet das Fundament für eine flexible, vernetzte Produktion mit verantwortungsvollem Ressourceneinsatz unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Wir halten uns damit immer wieder den Spiegel vor, um Verbesserungspotenziale zu identifizieren, geeignete Maßnahmen zu definieren und diese dann umzusetzen. Die Basis für diese intelligente, vernetzte Produktion sind schlanke, end-to-end geplante Prozesse und die Realisierung der Datendurchgängigkeit. So gibt es viele gute Einzelprozesse, die wir ganzheitlich im Zielbild einer Smart Factory zusammenführen – immer vor dem Hintergrund der Effizienzsteigerung. In unserer Taycan-Fabrik setzen wir beispielsweise auf die digitale Abbildung der physischen Materialflüsse durch Auto-ID-Technologien. Im Karosseriebau und in der Montage werden durch RFID-Tags an den Ladungsträgern Buchungsprozesse automatisch durchgeführt.
Reimold: Oberste Priorität hat für uns die Sicherstellung der Flexibilität hinsichtlich der Marktbedürfnisse. In unseren Werken Zuffenhausen und Leipzig fertigen wir schon lange und sehr erfolgreich im kompletten Modellmix. So steuern wir die Fertigung gemäß den tatsächlichen Wünschen und Bestellungen unserer Kunden. An unserem sächsischen Standort gehen wir künftig sogar so weit, dass wir als weltweit erster Automobilhersteller Fahrzeuge mit konventionellen Verbrennungs- oder Hybridantrieben sowie Elektromotoren auf einer Linie fertigen können. Dies bedingt eine konsequente Beeinflussung der Produktgestaltung und eine intelligente Auslegung der Prozesse. So lassen sich Kosten und Komplexität im Griff behalten und kontinuierlich reduzieren. Ein weiterer, entscheidender Erfolgsfaktor ist also die Produktion als Treiber einer ressortübergreifenden Produkt- und Prozessgestaltung. Nicht zuletzt ist das Thema Nachhaltigkeit ein strategischer Pfeiler unseres unternehmerischen Handelns. Das gilt insbesondere auch für die Produktion. Wir denken ganzheitlich: ökologisch, ökonomisch und sozial. Bei Porsche haben wir die Nachhaltigkeit in unserer Strategie als feste Säule verankert. Unser erster Elektro-Sportwagen Taycan ist ein Ergebnis dieser Strategie – und dazu gehört auch, dass er in unserem Stammwerk in Zuffenhausen CO2-neutral produziert wird. Des Weiteren achten wir auf einen schonenden Einsatz von Ressourcen und reduzieren kontinuierlich unseren Wasser- und Energieverbrauch, um die Umweltauswirkungen unserer Geschäftstätigkeit nachhaltig zu verringern. In diesem Bestreben lassen wir nicht nach, sondern entwickeln das Unternehmen schrittweise in Richtung unserer Vision weiter: Porsche soll die nachhaltigste Marke für exklusive und sportliche Mobilität werden.
Reimold: Offen und jederzeit bereit sein für Veränderungen. In der Montage für den vollelektrischen Taycan setzen wir schon heute auf größtmögliche Flexibilität. Wir haben uns vom traditionellen Fließband verabschiedet. Mit der sogenannten Flexi-Line setzen wir als erster Fahrzeughersteller fahrerlose Transportsysteme (FTS) in der Serienproduktion im kontinuierlichen Fluss ein. Die schnellere Realisierungszeit, der Einsatz der FTS in anderen Hallen sowie das mögliche Ein- und Ausfahren in die Linie mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten sind nur einige der Vorteile. So kann die Taktlänge an den Bedarf angepasst werden, um beispielsweise ein FTS für automatisierte Tätigkeiten anzuhalten und danach zur nächsten Station zu beschleunigen. Zudem konnten wir neben der gesteigerten Flexibilität die Investitionskosten um etwa 30 Prozent reduzieren. Unternehmerisch war die neue Linie die richtige Entscheidung.
Reimold: Bei Porsche steht der Kunde von jeher immer im Zentrum unserer Überlegungen. Eine Besonderheit ist, dass wir weltweit als einziger Automobilhersteller für alle Märkte und alle Baureihen einen geschlossenen Prozess implementiert haben – von der Auftragsanlage beim Händler bis zur Auslieferung der Fahrzeuge an den Kunden. Organisatorisch liegt die Verantwortung dafür in der Produktion. Wir verfolgen damit zwei Ziele: Zum einen möchten wir dem Kunden die Möglichkeit geben, sein Traumauto so individuell wie möglich zu konfigurieren. Und zum anderen schaffen wir die Möglichkeit, dass ein Auftrag nahezu bis zur letzten Sekunde geändert werden kann und trotzdem höchste Zuverlässigkeit und Transparenz gewährleistet ist.
Reimold: Um die vorhandene Komplexität zu beherrschen und mehr Transparenz zu schaffen, müssen wir die relevanten Informationen aus den existierenden Daten bestmöglich nutzen. Hierfür setzen wir auf Big-Data-Methoden. Diese nutzen wir beispielsweise bereits, um auf Basis künstlich neuronaler Netze die Fertigungsprozesse noch effizienter zu gestalten. Durch die Verknüpfung von Qualitäts- und Prozessdaten des Lieferanten und unserer E-Antriebsfertigung können wir erkennen, welche Eigenschaften sich negativ auf das Geräuschverhalten des Getriebes auswirken. Diese Fähigkeit ermöglicht uns frühzeitig zu reagieren. Seit kurzem nutzen wir auch KI-basierte Analysewerkzeuge in anderen Bereichen, um Schwerpunkte für Optimierungsmaßnahmen innerhalb unserer Prozesse zu erkennen. Mit diesem sogenannten Process Mining haben wir bereits sehr gute Erfolge in der Logistik erzielt.