Herkommer: Ein Green Product weist einen reduzierten CO₂-Footprint und optimierte Recycling-Eigenschaften auf. Das erfordert die Nutzung von nachhaltigen Rohstoffen und ein Design, welches diese Rohstoffe auch ermöglicht. Stehen Design und Materialien fest, gilt es, den CO₂-Footprint zu optimieren und mit den Kosten in Einklang zu bringen. Denn diese können standortbedingt durch die Nutzung der jeweiligen Primärenergie sowie der Produktionstechnik stark variieren.
Tsetinis: Bei einem Green Product handelt es sich um ein durch und durch nachhaltiges Produkt. Elementar ist dabei ein konsequentes Absenken der CO₂-Equivalenzwerte über den gesamten Produktlebenszyklus. Dabei müssen verschiedene Nachhaltigkeitsziele und Zeitschienen definiert werden, die die CO₂-Werte bis zur Fertigstellung des Produkts konkret nachverfolgen. Neben der Produktion spielt auch der Aspekt des Recyclings beziehungsweise des Re-Use eine ganz zentrale Rolle.
Tsetinis: Zunehmende Regularien, wie zum Beispiel die CO₂-Steuer oder Bonus-Malus-Systeme, sorgen dafür, dass Verfehlungen in der Nachhaltigkeit sich direkt auf die Profitabilität auswirken. Für das CO₂-Aufkommen müssen Unternehmen zunehmend Steuern zahlen. Derzeit ist in Österreich ein Preis von 30 Euro pro Tonne vorgesehen. Aber es gibt durchaus auch Prognosen, die zukünftig von 100 bis 160 Euro pro Tonne ausgehen. Allein das ist Anreiz genug für Unternehmen, Produkte CO₂-freundlich zu gestalten. Oder um es auf den Punkt zu bringen: Wenn ich in der frühen Phase der Produktentwicklung ein Produkt nachhaltig konzeptioniere, dann zahlt sich das auf jeden Fall bereits mittelfristig auf die Profitabilität aus.
Herkommer: Die Zulieferer in der Automobilindustrie kommen gar nicht drumherum, sich intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Aus meiner Sicht sind viele hier schon auf dem richtigen Weg. Die Automobilindustrie, die ja noch vor nicht allzu langer Zeit ihre Lehren aus dem Dieselskandal gezogen hat, übernimmt aus meiner Sicht hier ganz klar eine Vorreiterrolle. Bei anderen Industrien sehe ich da schon noch deutlichen Handlungsbedarf.
Tsetinis: Das sehe ich genauso. Die Automobilindustrie ist hier absolut federführend. Ich bin davon überzeugt, dass die Lebensmittelindustrie neben den Inhaltsstoffen in Zukunft auch den CO₂-Aufwand deklarieren wird.
Herkommer: Vor fünf bis zehn Jahren hatten Produkte noch eher Wegwerfcharakter. Das hat sich deutlich verändert. Früher ging das Interesse, Aluminium bei der Produktion einer Mittelkonsole durch einen biologischen, nachwachsenden Rohstoff zu ersetzen, gegen null. Im Zuge des CO₂-Footprints hat sich das komplett verändert. Und genau das sind Aspekte, die bereits in der Produktentwicklungsphase berücksichtigt werden müssen. Die Aussage, beispielsweise 2035 CO₂-neutral sein zu wollen, bedeutet, dass man heute einen qualifizierten Status quo haben muss und den CO₂-Footprint genau benennen kann. Das ist aber derzeit bei vielen noch nicht der Fall. Wir brauchen einen Status quo, um dann analysieren zu können, in welchen Schritten Emissionen reduziert werden können und vor allem mit welchen Maßnahmen das erreicht werden soll.
Tsetinis: Für jedes Produkt gibt es ein Pflichtenheft und klar definierte Kostenziele. Jetzt kommt die Komponente Nachhaltigkeit hinzu. Für Unternehmen ist es eine große Herausforderung, in der frühen Konzeptionsphase die Nachhaltigkeitsziele mit den Kosten zu harmonisieren. Neben dem Thema Design to Cost wird das Thema Design to CO₂ bereits in der Konzeptphase eine immer wichtigere Rolle einnehmen.
Tsetinis: Aus meiner Sicht sind viele der Diskussionen nicht wirklich zielführend, da sie zu populistisch sind. Es fehlen weltweit gültige Regularien, und ohne diese Regularien kommen wir nicht weiter. Ein Stellhebel ist das Thema Energienutzung. Saubere und nachhaltige Energie zu nutzen ist auch geopolitisch derzeit nicht so einfach. Ein weiterer Stellhebel sind die Rohstoffe. Aluminium ist beispielsweise sehr energieintensiv, Alternativen sind begrenzt verfügbar und treiben die Kosten nach oben. Dritter Stellhebel sind die Produktionsanlagen, die allerdings nicht von heute auf morgen ausgetauscht werden können. Nur wenn Produktionsphase, Nutzungsphase und Recycling kombiniert betrachtet werden, kommen sinnvolle Green Products zustande. Eine Optimierung der einen Phase zulasten der anderen ist problematisch. Wir müssen die gesamte Supply Chain einbeziehen. Klar ist, dass Unternehmen definieren müssen, was das für die Kosten bedeutet und ob die Möglichkeit besteht, diese an die Kunden weiterzugeben. Nachhaltigkeit kostet Geld – das muss klar sein.
Herkommer: Wenn ein Bauteil beispielsweise aus China nach Europa verlagert wird, wo nachhaltige Energie verwendet wird, wird die Produktion in den meisten Fällen teurer. Es gibt also nicht nur Best Cost Countries, sondern auch Best Energy Countries.
Tsetinis: Klare Vorgaben zur Einsparung geben Planungssicherheit und stabilisieren die Wirtschaft. Reiner Aktionismus hilft aus meiner Sicht nicht weiter und würde eher eine Verlagerung der Emissionen in Länder mit weniger strengen Auflagen mit sich bringen. Es bringt nichts, wenn die Europäische Union Vorgaben macht, die die USA oder China nicht mitgehen. Daher wäre es wünschenswert, wenn die Europäische Union hierzu in eine internationale Abstimmung geht. Das Thema Nachhaltigkeit birgt die Chance, eine Neuordnung der Supply Chain vorzunehmen und mehr Wertschöpfung im eigenen Land zu platzieren. Aber dafür müssen erst mal die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen werden.
Herkommer: Wichtig ist, dass die Regularien in den wichtigsten Wirtschaftsräumen synchronisiert werden, allein schon, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Aber, und das ist mir ganz wichtig, das können wir nicht von heute auf morgen ändern. In der Automobilindustrie haben wir beispielsweise einen Produktlebenszyklus von sieben Jahren. Also werden die ersten Änderungen frühestens in 10 bis 15 Jahren zu sehen sein.
Tsetinis: Gerade die frühe Konzept- und Entwicklungsphase ist eine große Herausforderung in der CO₂-Betrachtung. OEMs brauchen Zielwerte für die Emissionen im Fertigungsprozess schon lange bevor die Auswahl der Lieferanten erfolgt. Dabei muss auf viele Jahre in die Zukunft geplant werden. Optimierungsmöglichkeiten gibt es durch die richtige Auswahl von Werkstoffen, Design und Lieferanten. All diese Parameter müssen schnell und sicher bewertet werden. Dies kann nur mit einer Kalkulationssoftware bearbeitet werden, die in Bottom-Up-Qualität arbeitet, einen autonomen BOM-Aufbau unterstützt und simulationsfähig ist. Wenn ein solches Kalkulationssystem etabliert ist, bieten sich Wettbewerbschancen durch ein optimiertes Austarieren von Kosten und CO₂-Emissionen. Durch die Antizipation möglicher Kostensteigerungen können Margen gesichert werden. Man muss ehrlicherweise sagen, dass es auch Grenzen gibt. Aber diese ergeben sich unter anderem aus der Bereitschaft der eigenen Lieferkette, Daten zu liefern und damit transparent zu sein und sich kontinuierlich zu verbessern.
Tsetinis: Mit unserer Software simulieren wir den Best-Practice-Ansatz, um zu zeigen, wo der Kunde bei seiner Kostenstruktur im Vergleich überhaupt steht. Wir begleiten Unternehmen auf dem Weg zum Best Practice und optimieren damit auch den Gesamtprozess. Und damit können in der Produktkostenkalkulation maßgebliche Einsparungen definiert und der ROI schneller erreicht werden.