Lean Excellence ist die Grundlage aller Strategien zur Effizienz- und Produktionsoptimierung
Die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität ist für den Zustand einer Volkswirtschaft von zentraler Bedeutung. Umso erstaunlicher ist, wie wenig der Verlangsamung des Produktivitätswachstums entgegengesetzt wird, die wir in nahezu allen großen Industrieländern beobachten. Während in den 1970er- und 1980er-Jahren Methoden wie Lean Production und Lean Management entstanden und ihre Umsetzung engagiert vorangetrieben wurde, ist diese Dynamik zuletzt beinahe zum Erliegen gekommen. Gerade in Deutschland entwickelte sich die Produktivität trotz erheblicher Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien äußerst bescheiden: Betrug die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate in den Jahren 1995 bis 2005 noch 1,5 Prozent, so fiel sie in den Jahren 2005 bis 2019 auf 0,8 Prozent. In den Jahren von 2015 bis 2022 betrug das Produktivitätswachstum insgesamt 1,97 Prozent (jährlich im Durchschnitt 0,28 Prozent).
Der stetige Exporterfolg als Narkotikum und Innovationsbremse?
Dass Produktivität und Effizienz unmittelbar auf den Unternehmenserfolg durchschlagen, ist keine neue Erkenntnis. Trotzdem sind diese Begriffe in den vergangenen Jahren in den Hintergrund getreten. Weil die deutschen Industrien immer reichlich Geld verdient und Exportüberschüsse erwirtschaftet haben, schien es keine Notwendigkeit zu geben, sich über Optimierung allzu viele Gedanken zu machen. Ohne Leidensdruck wurde wenig Augenmerk auf die kontinuierliche Verbesserung der Prozesse (KVP) gerichtet. Nach Pandemie, Krieg, Klima-, Energie- und Lieferkettenkrise zeigen sich die Konsequenzen der Versäumnisse überdeutlich.
Wie konnte die große Idee aus dem Blick geraten?
Zur Verwunderung aller Lean-Experten – Ingenics hat seit den 1990er-Jahren unzählige Lean-Projekte erfolgreich abgeschlossen – ist die große Idee zuletzt immer mehr aus dem Blick geraten. Die Unternehmensführungen haben sich angewöhnt, auf kurzfristige Erfolge zu setzen, ohne mit strategischen Instrumenten nachhaltiges Wachstum zu verfolgen. Häufig mit fatalen Konsequenzen bis hin zur Folge, sich nur noch in Nischenmärkten behaupten zu können.
Ein gutes Beispiel ist der Automobilbau und seine Zulieferer. Während die Branche weltweit erfolgreich war, wuchs auch der Margendruck kontinuierlich. Auf steigende Gestehungskosten, sinkende Preise und groteske Rabattschlachten wurde in vielen Fällen nicht mit der Entwicklung von Excellence-Strategien reagiert, sondern mit schnell wirksamen, aber wenig nachhaltigen Marketingstrategien. Über zukünftige Entwicklungen wurde in Phasen starken Wachstums oft unkoordiniert entschieden.
Vor allem für den Export spielen Faktoren wie geopolitische Spannungen, fragile Demokratien und zunehmender Protektionismus eine Rolle. Hinzu kommt die ständige Verteuerung der Energie in Europa und insbesondere in Deutschland aus politisch-ideologischen Gründen. Im Zuge der durch die Umstellung auf Elektromobilität erzwungenen Transformation wird zwangsläufig bei den Beschäftigtenzahlen auf die Bremse getreten.
Dass nun kein Weg daran vorbeiführt, in Deutschland in erheblichem Maße Arbeitsplätze abzubauen, ist auch der Vernachlässigung weitsichtiger Strategien anzulasten. Wenn die ganz großen deutschen Zulieferer Entlassungen ankündigen, so stehen sie zwar im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, aber tatsächlich ist jedoch die gesamte Branche betroffen, plant doch mindestens jedes zweite Zulieferunternehmen Stellenstreichungen.
Chefsache: Entscheidende motivieren
Von einer durchgängigen Null-Fehler-Kultur war zuletzt kaum noch irgendwo die Rede. Jetzt ist der Zeitpunkt, neue und nachhaltige Lean-Excellence-Strategien aufzusetzen – sollte man meinen. Erstaunlicherweise ist diese Einsicht nicht allzu weit verbreitet. Im Gegenteil beobachten wir eine gegenteilige Entwicklung. In vielen Fällen herrscht große Unsicherheit bezüglich der anzuwendenden Methoden und ihrer Wirkung. Nicht selten erleben wir sogar, dass zwischenzeitliche „Lean-Champions“ – Unternehmen und Entscheidende, die das Thema eigentlich exzellent beherrscht hatten – in überwunden geglaubte Muster zurückfallen und wieder bei null anfangen müssen.
Nun gilt es, diese Entscheidenden neu zu motivieren, noch einmal entschlossen auf das Thema Produktivität zu setzen. Auf die Bremse zu treten, schafft ja keine Perspektiven. Anstatt wie zuletzt auf kurzfristige, leicht erreichbare, aber isolierte kleine Erfolge zu setzen, müssen wir jetzt konzentriert daran arbeiten, durchgängig nachhaltige Exzellenz zu forcieren. Das heißt in erster Linie, künftigem Wachstum den Weg zu bahnen, indem Verschwendung in allen Prozessen aufgespürt und nachhaltig eliminiert wird. Wer Verschwendung reduziert, minimiert Kosten und Lieferzeiten, verbessert die Flexibilität, optimiert die Qualität und schafft Kundenzufriedenheit. Der Lean-Gedanke darf eigentlich keine Schranken kennen und sollte von der Produktentwicklung bis zum After-Sales das ganze Geschäft durchdringen. Insofern ist das integrierte Lean-Denken die Grundlage aller Strategien zur Effizienz- und Produktionsoptimierung.
In Deutschland muss erst einmal die strategische Handbremse gelöst werden
In Deutschland heißt es jetzt erst einmal, sich schonungslos offen einzugestehen, wie weit man inzwischen davon entfernt ist, mit dem Thema Produktivität erfolgreich zu sein: Wir sind abgehängt, über die einstigen Musterschüler in Sachen Effizienz schüttelt die halbe Welt nur noch den Kopf. Reagiert wird in den meisten Fällen erst, wenn es gar nicht mehr anders geht, und dann auch nur halbherzig und auf wenige Themen begrenzt. Vorausschauend passiert beinahe gar nichts. Um endlich die strategische Handbremse zu lösen und gegenzusteuern, müssen Unternehmen zwei Ansätze verfolgen.
Zum einen müssen wir es schaffen, dass diejenigen, die für die Wertschöpfung verantwortlich sind, nämlich Meister, Teamleiter auf dem Shopfloor, auch tatsächlich die Chance bekommen, die Wertschöpfung zu verbessern. Es gilt, hier eine wirkliche unternehmerische Perspektive zu entwickeln und die daraus abgeleitete Strategie als klares Commitment zu beschließen. Dass bestimmte Ansätze gar nicht erst verfolgt werden, weil sie unpopulär sind, darf nicht länger hingenommen werden. Ausreden wie Demografie und Fachkräftemangel in Endlosschleifen zu beklagen, heißt, Chancen auf strategischen nachhaltigen Erfolg zu vergeben und am Ende mit leeren Händen dazustehen. Nur wenn wir ernsthaft und ohne Ausreden das Thema Produktivitätssteigerung zur Kernaufgabe der Unternehmen machen, werden auch die Gewerkschaften den Weg mitgehen. Denn wenn die Maßnahmen dazu führen, dass Wertschöpfung am Standort erhalten bleibt, ist letztendlich allen gedient, selbst wenn sie nur noch von einem Teil der Beschäftigten erwirtschaftet wird.
So ist zum anderen die Entschlossenheit des Managements erforderlich, eine produktivitätsorientierte Strategie als „Chefsache“ auf- und umzusetzen. Was über Jahre hinweg faulen Kompromissen geopfert wurde, muss jetzt als durchgängige Zielewelt nach ganz oben auf der Agenda rücken und nachhaltig etabliert werden. Dazu gilt es, ohne Scheuklappen und Tabus die richtigen Fragen in Bezug auf die Ziele zu stellen.
Nur wenn beide Ansätze funktionieren, können wir wieder die Dynamik entwickeln, die Voraussetzung für eine Entwicklung der Wertschöpfung ist, wie wir sie uns vorstellen. Falls uns das nicht gelingt, droht es uns zu ergehen wie den Amerikanern im Toyota-Schock in den 1980ern. An einem solchen Scheidepunkt – Lean-Excellence oder Deindustrialisierung – stehen wir heute in Deutschland.